Fachkräfte­mangel aber die Prozesse müssen trotzdem weiterlaufen!

 

Es ist Montagmorgen, 6:45 Uhr in einer mittelständischen Rollstuhlproduktion. Die Montagehalle ist nur zur Hälfte besetzt. Zwei Mitarbeiter fehlen krankheitsbedingt, ein neuer Kollege muss erst eingelernt werden. Gleichzeitig stehen acht individuelle Aufträge in der Pipeline, alle mit Sonderanpassungen, alle unter Zeitdruck. Die Produktionsleitung blickt auf die Uhr und überlegt, welche Kompromisse heute notwendig sind, um die Liefertermine zu halten.

 

Was sich wie ein Einzelfall anhört, ist längst Realität in vielen Betrieben der Reha- und Medizintechnik. Der Fachkräftemangel ist nicht mehr nur eine Prognose, er ist Alltag. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) melden über 60 % der Hersteller unbesetzte Fachstellen, besonders in den Bereichen Montage, Qualitätssicherung und CNC-Fertigung. Gleichzeitig wachsen die Anforderungen: kürzere Lieferzeiten, strengere Normen, mehr Variantenvielfalt.

 

Doch der Artikel soll keine Panik verbreiten. Im Gegenteil: Er zeigt auf, wie Unternehmen konkret gegensteuern können mit realistischen, wirtschaftlich tragfähigen Lösungen, die nicht Menschen ersetzen, sondern Prozesse smarter gestalten. Automatisierung, sinnvoll eingesetzt, kann nicht nur Engpässe kompensieren, sondern Fachkräfte entlasten, Prozesse stabilisieren und letztlich sogar attraktiver machen.

 

Ob durch Rework-Automatisierung, digitale Prüfprozesse oder flexible Cobot-Zellen, die Rehatechnik steht heute vor der Chance, den Wandel nicht nur zu bewältigen, sondern aktiv zu gestalten.

 

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Faktencheck Fachkräfte­mangel: Wo es wirklich brennt

 

Der Fachkräftemangel ist längst kein Randphänomen mehr, er ist ein strukturelles Risiko für die gesamte Industrie. Besonders in der Reha- und Medizintechnik zeigt sich die Lücke an den sensibelsten Stellen: dort, wo Präzision, Dokumentation und Erfahrung gefragt sind. Doch was sagen die Zahlen?

Die Zahlen über Arbeitskräftemangel sprechen eine klare Sprache

  • 50 % der Industriebetriebe in Deutschland finden aktuell keine geeigneten Fachkräfte für offene Stellen.
  • In der Medizintechnikbranche liegt dieser Wert laut BVMed sogar bei über 60 %, Tendenz steigend.
  • Besonders betroffen:
    • Montagepersonal, z. B. für Feinmechanik und Elektronik
    • Qualitätsprüfer:innen mit Normenverständnis
    • Spezialist:innen für Reinraumfertigung
  • Die Zahl der Bewerber:innen pro Ausbildungsplatz in technischen Berufen ist in den letzten zehn Jahren um 40 % gesunken.

Wissen geht – der Nachwuchs der Fachkräfte bleibt aus

Ein oft unterschätzter Aspekt: Die Branche altert.

  • Rund 35 % der Beschäftigten im Maschinenbau sind heute 55 Jahre oder älter.
  • Viele gehen in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Rente, inklusive Erfahrungswissen, das kaum dokumentiert ist.
  • Der Nachwuchs fehlt, weil viele junge Menschen alternative Branchen wählen oder akademisch ausgebildet werden und damit nicht für operative Produktionsrollen zur Verfügung stehen.

Die Konsequenz: Prioritäten verschieben sich

Was das konkret bedeutet?

  • Produktionslinien müssen mit weniger Personal auskommen
  • Spezialwissen verteilt sich auf immer weniger Schultern
  • Neue Mitarbeitende müssen schneller, aber auch besser qualifiziert eingearbeitet werden
  • Gleichzeitig steigen die regulatorischen Anforderungen, etwa durch MDR oder ISO 13485

Kurz gesagt: Weniger Hände, mehr Verantwortung.

Doch genau hier bietet sich ein Ausweg, nicht durch Ersetzen, sondern durch intelligente Entlastung. Die nächste Generation von Automatisierungslösungen ist nicht nur für Konzerne konzipiert, sondern auch für mittelständische Hersteller, die flexible, skalierbare und validierbare Lösungen benötigen.

 

Wie IT-Automatisierung konkret helfen kann: Entlasten, stabilisieren, verbessern

 

Automatisierung ist längst nicht mehr gleichzusetzen mit riesigen Roboteranlagen in der Großserie. In der Rehatechnik und Medizintechnik geht es heute um modulare, punktuelle und präzise eingesetzte Automatisierung, die echte Engpässe entschärft, ohne Flexibilität oder Qualität zu opfern. Drei Bereiche zeigen besonders deutlich, wie Automatisierung zur Lösung beiträgt.

 

1 | Montageprozesse: Cobots als Teamkollegen

In der Montage von Rollstühlen, Patientenliftern oder Steuerungseinheiten sind viele Arbeitsschritte wiederholbar, aber körperlich belastend, etwa das Aufziehen von Reifen, Einpressen von Kugellagern oder das Verschrauben definierter Baugruppen. Hier kommen kollaborative Roboter („Cobots“) ins Spiel:

  • Sie übernehmen standardisierte Arbeitsschritte
  • arbeiten direkt neben dem Menschen – ohne trennenden Schutzzaun
  • dokumentieren Drehmomente und Taktzeiten automatisch

Vorteil:

  • entlastet Fachkräfte
  • verbessert die Prozesssicherheit
  • schafft neue, koordinierende Rollen wie Cobot-Bediener oder Programmierer

Beispiel: Ein Reha-Hersteller konnte durch die Einführung einer Cobot-Zelle zur Radmontage seinen Durchsatz um 28 % steigern, bei gleichzeitiger Reduktion der Krankentage im Montagebereich um 22 %.

2 | Qualitätskontrolle: Digital, inline und auditfähig

Klassische Sichtprüfungen sind personalintensiv, subjektiv und fehleranfällig. Digitale Qualitätskontrollsysteme, z. B. kamerabasierte Prüfzellen oder sensorische Messstationen, bieten dagegen:

  • objektive, wiederholgenaue Prüfungen
  • automatische Dokumentation für MDR-konforme Rückverfolgbarkeit
  • weniger Nacharbeit durch frühe Fehlererkennung

Solche Lösungen lassen sich modular integrieren, auch in bestehenden Linien. Die gewonnene Prüfzeit kann sinnvoll in komplexere Validierungen investiert werden.

 

3 | Rework & Nachbearbeitung: Automatisiert und rückverfolgbar

Rework-Prozesse erfordern Erfahrung, aber nicht immer den ganzen Tag eines Seniors.
Schlander & Blum unterstützt etwa mit automatisierten Rework-Stationen, die:

  • definierte Nacharbeiten wiederholgenau ausführen (z. B. Entgraten, Schraubenwechsel)
  • Prüf- und Arbeitsdaten automatisch mit dem CAQ verknüpfen
  • Mitarbeitende durch Assistenzsysteme (z. B. Licht-Leit-Systeme) führen

So bleibt das Fachwissen dort, wo es gebraucht wird, für komplexe Entscheidungen, nicht für einfache Routinen.
Automatisierung ist keine Einbahnstraße, sondern ein Werkzeugkasten. Richtig eingesetzt, ersetzt sie keine Menschen, sie macht ihre Arbeit wirkungsvoller. Und sie stabilisiert die Produktion in einer Zeit, in der Personal nicht beliebig verfügbar ist.

Voraussetzungen für erfolgreiche Automatisierung und wie auch KMU davon profitieren

 

Viele Unternehmen, gerade im Mittelstand, begegnen dem Thema Automatisierung mit einer Mischung aus Neugier und Zurückhaltung. Verständlich: Investitionen wollen wohlüberlegt sein, und Standardlösungen passen selten zur Individualfertigung in der Reha- oder Medizintechnik. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Erfolgreiche Automatisierung beginnt nicht mit Maschinen, sondern mit Prozessen.

1 | Prozesse verstehen, bevor man automatisiert

Bevor die erste Automatisierungslösung geplant wird, gilt: Prozessklarheit geht vor Technik. Typische Fragen im Vorfeld:

  • Wo sind Engpässe oder Fehlerquellen?
  • Welche Tätigkeiten sind repetitiv, normiert und körperlich belastend?
  • Gibt es Arbeitsschritte, die bereits (teil-)standardisiert sind?

Ein Value Stream Mapping oder eine Lean-Analyse kann hier erstaunlich schnell zeigen, welche Bereiche Automatisierung überhaupt sinnvoll zulassen – und wo Flexibilität Vorrang hat.

2 | Modularität schlägt Großinvestition

Gerade kleinere Betriebe profitieren von modularen, skalierbaren Lösungen, z. B.:

  • mobile Cobot-Arbeitsplätze, die an mehreren Stationen genutzt werden
  • digitale Prüfstationen mit Plug-and-Play-Schnittstellen
  • Rework-Stationen mit adaptierbaren Vorrichtungen

Solche Systeme lassen sich schrittweise einführen, ohne hohe Vorlaufkosten oder langfristige Umrüstungen.

Tipp: Förderprogramme wie „Digital Jetzt“ oder regionale Investitionsprämien helfen, den finanziellen Einstieg zu erleichtern.

3 | Mitarbeitende mitnehmen und befähigen

Ein unterschätzter Erfolgsfaktor: Akzeptanz.
Automatisierung funktioniert nur dann dauerhaft, wenn Fachkräfte sich nicht übergangen, sondern entlastet und aufgewertet fühlen. Deshalb:

  • Schulungen für neue Rollen (z. B. Cobot-Bediener:in)
  • Einbindung der Belegschaft in Auswahl und Testphase
  • neue Karrieremodelle für erfahrene Fachkräfte im Bereich Prozesssteuerung oder Validierung

So wird aus der Automatisierung keine Konkurrenz, sondern ein Teamplayer.

4 | Validierung und Dokumentation mitdenken

Gerade in der Medizintechnik ist jede Veränderung auch eine regulatorische Herausforderung. Ob ISO 13485, MDR oder GAMP5, automatisierte Prozesse müssen validierbar sein. Deshalb:

  • Dokumentationsanforderungen früh klären
  • automatisierte Prüf- und Reworkdaten in bestehende QMS-Prozesse integrieren
  • digitale Rückverfolgbarkeit von Beginn an mitdenken

Automatisierung ist kein Entweder-oder, sondern ein Weg in kleinen, strategischen Schritten. Wer Prozesse versteht, Lösungen modular denkt und Menschen einbindet, kann auch als KMU schnell erste Erfolge erzielen und den Grundstein für eine resilientere, attraktivere Produktion legen.

Automatisieren heißt Verantwortung teilen, nicht ersetzen

 

Der Fachkräftemangel ist da und er wird nicht kurzfristig verschwinden. Doch statt sich von dieser Realität lähmen zu lassen, liegt im konstruktiven Umgang mit ihr eine echte Chance: für effizientere, stabilere und attraktivere Produktionsprozesse. Automatisierung ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, das sinnvoll eingesetzt, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt.

 

Sie entlastet Fachkräfte dort, wo ihre Zeit zu wertvoll für Routinetätigkeiten ist.
Sie sichert Qualität durch reproduzierbare, dokumentierte Prozesse.
Und sie macht Unternehmen unabhängiger von kurzfristigen Personalschwankungen – ohne auf Flexibilität oder individuelle Anpassung verzichten zu müssen.

 

Der entscheidende Punkt: Automatisierung ist auch für kleine und mittlere Unternehmen machbar. Nicht als Großprojekt, sondern als wachstumsfähige Lösung mit klar definiertem Nutzen. Wer bereit ist, Prozesswissen zu systematisieren, Mitarbeitende mitzunehmen und digitale Lösungen intelligent einzubinden, legt den Grundstein für eine Produktion, die auch in Zukunft tragfähig ist ökonomisch, technisch und menschlich.

Und: Sie verschafft dem, was in der Reha- und Medizintechnik den Unterschied macht, den nötigen Raum die individuelle, präzise und sichere Versorgung von Menschen.

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